Schreiben soll ich, meint mein Therapeut. Ganz ehrlich: dass ich diesen Satz einmal so tippe, hätte ich vor nicht allzu langer Zeit nicht gedacht. Nicht, weil ich ein Problem mit Therapien hätte, sondern mehr, weil ich eigentlich der Auffassung war, dieses Kapitel meines Lebens abgeschlossen zu haben. So lernt man!
Es sei, ganz allgemein, eine gute Idee, meine Gedanken aus meinem Kopf hinaus- und irgendwo anders hin zu verlagern, denn offenbar ist das eines meiner grössten Probleme: ich denke zu viel. Oder eher: ich wälze die gleichen Gedanken immer und immer wieder, was dazu führt, dass ich mich im Kreis drehe.
Ob es dazu eine Anleitung gibt?
Nein. Einfach drauf los, was immer mir so einfällt. Ich sehe nicht, was dabei schief gehen könnte...

Was mir jetzt, in dem Moment, so ein klein wenig auf der Seele liegt, sind Überlegungen zum menschlichen Wesen selbst. Und da ich immer noch ich bin, kommt das auch Hand in Hand mit einem Bezug zum Sport. Legen wir los.
Man sagt, dass Geld den Charakter verdirbt. Man sagt auch, dass das nicht der Fall ist, dass Geld aber sehr wohl den wahren Charakter eines Menschen zutage bringt. Ich werfe in den Ring, dass das Blödsinn ist und man bei Weitem nicht so weit gehen und viel Geld in Umlauf bringen muss, um alle Fassaden der menschlichen Facetten fallen zu sehen: ein Besuch im örtlichen Hallenbad reicht vollkommen.
Oh, das Hallenbad. Wer tatsächlich nichts besseres mit seiner Zeit anzufangen weiss und in den letzten Jahren hier ab und an vorbeigeschaut hat, wird sich womöglich erinnern: dieser magische Ort war schon mehrfach das Objekt meiner Gedanken. Ich verbringe denn auch genügend Zeit dort, wobei das im Augenblick nicht so oft vorkommt, wie ich es gerne hätte. Das hingegen ist ein anderes Thema und gehört heute nicht hierher.
Wie dem auch sei: ich frage mich tatsächlich nicht selten, was es denn genau ist, das die lieben Besucherinnen und Besucher des Schwimmbads dazu bringt, von ganz normalen Menschen zu unterschwellig aggressiven, gewaltbereiten Berserkern zu werden, sobald der Stoff fällt und das Wasser die Haut trifft. Und es ist nicht so, dass sich das in den letzten Jahren gross verändert hätte... die Beckenrandkonflikte waren schon immer ein Teil meines sportlichen Alltags, egal wo, egal wann in den letzten bald 25 Jahren.
Natürlich will ich mich da nicht ausnehmen. Ich habe selbst meine Vorurteile, rede mir aber (oft erfolgreich) ein, dass die auch auf einer gewissen Menschenkenntnis basieren. In diesem Fall tritt sie dahingehend zutage, dass ich bereits vor dem Sprung ins Wasser zu erkennen glaube, mit wem ich in der nächsten Stunde aneinander geraten werde. Das mag überheblich sein, ignorant, arrogant. Und vielleicht ist es auch eine selbsterfüllende Prophezeiung, zumindest ein Stück weit, doch... leider behalte ich sehr oft recht. Warum mag das sein?
Sehen wir uns die durchschnittlichen Frequentierenden eines Schwimmbads an. Da gibt es zum einen die Stammgäste. Das sind die, die sich in der Regel bereits 10min vor offizieller Öffnung beinahe die Köpfe einschlagen im Versuch, zuerst durch das Drehkreuz zu gehen. Badekleider sind meist unter der Alltagskluft, Duschen vor dem Schwimmen ist etwas, das für andere vorgesehen ist und sobald sich die Türen öffnen, beginnt ein Wettlauf gegen alle anderen: jede Bahn muss so schnell es geht mit Beschlag belegt werden, als ginge es um Leben und Tod. Hinzu kommt, dass man seit Jahren Stammkundin / Stammkunde ist, "genau gleich viel" bezahlt wie alle anderen und überdies ein unterdessen wohl geerbtes Vorrecht hat, überall und zu jeder Zeit genau das zu machen, was man gerade will.
Dann sind da die Gelegenheitsbesucherinnen und -Besucher. Sie kommen, weil sie nichts besseres zu tun oder weil sie sich etwas vorgenommen haben, weil sie seit gestern ein neuer Mensch sind und jetzt täglich schwimmen gehen... sucht euch was aus. Meistens zeichnen sie sich durch einen eklatanten Mangel an Umgebungswahrnehmung aus. Was dezent polemisch klingt, ist leider eine reine, faktische Beobachtung: es gibt ungeschriebene Regeln für das Miteinander auf einer Bahn und die gehen jenen Kandidaten meistens gänzlich ab. Dazu gleich mehr.
Auch findet man immer wieder Athletinnen und Athleten der örtlichen Schwimmclubs. Das sind oft die, die sich aufführen wie die Axt im Walde: selbst geschriebene Anweisungen von der Badaufsicht werden höchstens als wohlwollende Vorschläge registriert, wenn auf einem Schild steht, dass man auf dieser Bahn nur Crawlschwimmen soll, wird es gerne übersetzt: "Ausser für DICH, du kannst machen was du willst und hey: mal eben 100m Delfin wäre doch klasse, um auch den Letzten noch so richtig auf die Palme zu bringen!". Vermeintlich geschützt durch die segnende Hand aller Bademeister ändert sich daran auch nichts, falls mal jemand aufbegehrt, der Schwimmclub ist schliesslich sakrosankt. Dass den besagten Bademeistern das Geschehen im Wasser meistens so lang wie breit ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Des weiteren sind da diejenigen, die "ernsthaft trainieren" wollen. Zu denen zähle ich auch mich. Sie - WIR - sind eine wahre Plage, da beisst die Maus keinen Faden ab. Wir sind über alle Zweifel erhaben, wissen alles besser, können alles und sind die Königinnen und Könige des Equipments. Wir ignorieren gekonnt, dass uns zeitweise auf einer Bahn, auf der gerade der benannte Schwimmclub trainiert, kleine Kinder um die Ohren schwimmen, denn: nach uns die Sintflut, glaubt bloss nichts anderes. Hier gibt es allerdings eine kleine Randgruppe - und auch hier zähle ich mich dazu - die sich von den Schwimmerinnen und Schwimmern immerhin abgeschaut hat, dass es sich lohnt, sich an ein paar einfache Richtlinien zu halten. Und es könnte doch so schön sein...
Last but not least gibt es auch noch die Eunuchen. Das sind die, die wissen, wie man's macht... zugegeben meist männlicher Bauart fallen sie vor allem dadurch auf, noch mehr Material an den Beckenrand zu schleppen, als man eigentlich besitzen kann. Bei einem zweiten Blick merkt man oft, dass besagtes Equipment vor allem dadurch auffällt, dass es alles aus einem Haus, sprich, von einer Marke stammt. Man kann daraus schliessen: da wurde entschieden, dass man ab sofort Topsportler ist. Das Saisonabo im Schwimmbad lösen und auf dem ersten Hinweg noch rasch bei Decathlon einen Rundumschlag machen, sind da eins. Was sie auszeichnet ist, dass man sie meist schnell los wird: sie springen ins Wasser, spritzen, als würden sie sich mit dem Weissen Hai anlegen... und verziehen sich, sobald sie das erste Mal überholt werden.
Man nehme also eine bunte Mixtur all jener Charaktere, alle Nuancen und Facetten, werfe sie in warmes Wasser und... mal ganz ehrlich: die Konflikte sind vorprogrammiert. Für einmal sind es nicht die sozialen Medien, auf denen man sich produziert (nicht zuletzt aus dem Grund, dass Telefone unterdessen zum Glück aus den meisten Bädern verbannt sind), sondern direkt im eigenen Umkreis von ein paar Metern.
Vor kurzem habe ich folgenden Satz gelesen: Ausdauersport zu treiben heisst, in seinem direkten Umfeld als unschlagbare Maschine zu gelten, beim lokalen Halbmarathon dann aber hinter Erich, 67, der in Crocs läuft, als 1052. ins Ziel zu laufen.
Daran ist nichts falsches, doch ich fürchte, im Bad wird das zu einem Problem. Denn: unsere Bubble ist wichtig. Wir alle haben sie, wir alle brauchen sie. Leider scheint sie nicht wasserfest zu sein und auf einmal ist es halt weg, dieses Podest, auf dem man sich wähnte. Niemand mag Reality-Checks, schon gar nicht um 6 Uhr früh und auch nicht um 14 Uhr Nachmittags. Also wird man aggressiv.
Die Lösung?
Vielleicht bin ich naiv. Es gibt vieles, das darauf hinweist. Ich stelle mir aber vor, dass es so schwer nicht sein kann. Zum Beispiel, indem man sich vor dem Schwimmen folgendes überlegt:
Muss ich wirklich auf die "Schnelle" Bahn, auf der schon 3 Leute mit Tempi gut unter 2min/100m unterwegs sind?
Muss ich wirklich auf der schmalsten Bahn, die mit "nur Crawl" angeschrieben ist, Brust schwimmen?
Bringt es mich wirklich um, vor dem Wenden kurz nach hinten zu sehen, ob da nicht jemand schneller ist als ich?
Ist wirklich mein ganzer Tag im Eimer, wenn ich jemand schnellerem einmal den Vortritt lasse und 5 Sekunden warte?
Wertet es mich als Mensch ab, wenn ich mich an den Rechtsverkehr halte?
Muss ich unbedingt schneller werden, wenn mich jemand überholt?
Denn, lieber Sportlerinnen, liebe Sportler: seid euch einer Sache gewiss. Wo auch immer ihr schwimmt, es gibt jemanden auf der Bahn, der oder die schneller unterwegs ist als ihr. Das kann entmutigend sein, aber auch inspirierend. Um unangenehme Situationen zu vermeiden, gibt es ein paar ganz, ganz einfache Richtlinien, an die man sich halten könnte - und die auch schon die oben genannten Fragen beantworten würden:
Wie auf der Strasse schwimmt man rechts hoch, rechts herunter, also im Kreis. Und das so nahe an der Trennleine, wie möglich - der Platz dazwischen ist fürs Überholen gedacht. Und ja: in Grossbritannien, Australien, Südafrika und Neuseeland schwimmen sie tatsächlich linksrum.
WENN euch jemand überholt - lasst es zu. Lasst sie vorbei. Es gibt wenig, das so unglaublich brutal nervenaufreibend ist, als wenn man 20m braucht, um jemandem auf Schulterhöhe zu kommen, dann aber weitere 70m, um ganz an ihnen vorbei zu sein. Und egal, was ihr mir erzählt: Nein, ihr hattet nicht ausgerechnet in dem Moment einen plötzlich einsetzenden Intervall im Programm. Und ja: ich hasse euch jetzt. Leidenschaftlich. Denn: während ihr euer Ego an mir poliert, blockieren wir zusammen während einer guten ganzen Länge eine Bahn, was es unmöglich macht für andere, wiederum IHR Ding durchzuziehen. Lasst es einfach. (Anders sieht es aus, wenn euch jemand auf der Bahn nebenan überholt: dann ist es ein Rennen, so will es das Gesetz).
Schwimmt rechts, wendet in der Mitte - und schaut vor dem herüberziehen nach links. Denn: wenn euch in dem Moment jemand überholt und ihr "einbiegt", ohne zu blinken... dann knallt es, was für alle beteiligten unschön ist. Lasst sie vorbei, wendet evtl. 2 Sekunden später. Alle sind zufrieden und auch wenn es schwer zu glauben ist: eure Krone wird noch alle Zacken haben.
Wechselt. Nicht. Den. Stil. Mitten. Auf. Der. Bahn! Folgendes Szenario: ihr schwimmt Crawl und nach 30m fällt euch ein, dass Brust doch besser wäre. Also wechselt ihr. Kein Problem, oder? Ausser dass es eins werden kann, denn: vom einen Moment auf den anderen braucht ihr nicht 1/4 der Bahn, sondern 2/3. Zudem kommen eure Fusstritte ziemlich genau auf der Höhe an, auf der man beim Crawlen gerne mal seine Hände führt. Es gibt wenig unschöneres, als beim Überholen auf einmal zu merken, dass der Platz nicht reicht, weil da auf einmal jemand um sich tritt wie ein getasertes Maultier...
Wartet beim Wenden. Bitte. Aus dem gleichen Grund: wenn ihr seht, dass jemand auf den Beckenkopf zuschwimmt und es absehbar ist, dass sie oder er wenden wird... wartet. Bitte! Denn auch hier: wenn ihr eine halbe Sekunde vor besagter Wende abstosst, seid ihr genau, und zwar gemein genau, in einer Position, in der ihr fast unweigerlich jemanden treten werdet. Leider sage ich euch aus Erfahrung, dass es sehr, sehr unangenehm ist, seine Wende zu machen, sich abzustossen und zeitgleich einen Fusstritt ins Gesicht zu kassieren, weil man sich ja unbedingt noch abstossen musste, bevor die Wende der anderen Person stattfand. Ratet mal was passiert, sobald die Sternchen verschwunden sind. Richtig: ich hasse euch.
Also... eigentlich nicht so schwer, oder?
Ich merke, ich bin ein wenig aus der Übung. Und vielleicht doch ein wenig mehr auf Krawall gebürstet, als mir selber klar ist. Sei's drum. Wem das nicht passt... dafür sind Meinungen da.
Herzlich,
Fabian
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