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Like a rock

Autorenbild: Fabian KremserFabian Kremser

Ab und zu habe ich Zweifel. An der Welt, an mir, an allem. Darüber zu sprechen fällt nicht leicht, denn am Ende sind wir alle ein Produkt unseres Umfelds und an einem solchen gebricht es mir mehrheitlich. Das ist keine Beschwerde am Universum, sondern eine Feststellung und es wäre an mir, an diesem Sachverhalt etwas zu ändern.

Woran zweifle ich?


Es ist nicht so, dass ich Nachts wach liege und mich frage, welchen Sinn das Leben hat. Da bin ich eher pragmatisch gepolt: Meiner Ansicht nach wurden wir nicht gebeten, auf diese Welt gesetzt zu werden, sind nun für eine gewisse Zeit hier und können daraus machen, was immer wir für richtig halten.


Augenblick! Es gibt doch aber Dinge, die einfach richtig Sind und solche, die es nicht sind?

Ja, aber auch nein. Auch hier vertrete ich die Ansicht, dass man jederzeit eine subjektive Messlatte ansetzen kann, solange man bereit ist, die möglichen Konsequenzen zu tragen. Mensch zu sein diktiert für mich einige Randbedingungen, doch glaube ich nicht, dass wir als Individuen erst eine Religion oder die Androhung ewiger Qualen brauchen sollten, um uns daran zu erinnern, dass Höflichkeit und gegenseitiger Respekt nicht etwas sein sollte, das von Bedingungen abhängig ist. Man mag versucht sein, in diesem Zusammenhang von "gesundem Menschenverstand" zu sprechen, doch mal ehrlich - dieser Begriff wird seit einiger Zeit dermassen inflationär verwendet, dass man kaum noch weiss, was damit anzufangen ist. Wem das zu viele Kommas in einem Satz sind: es war nicht meine Idee, in der zweiten Gymnasialklasse mit Kleist torpediert zu werden.


Auf meinem Weg durchs Leben habe ich mich für den Sport entschieden. Erst als Hobby, dann als Beruf, später als Berufung, unterdessen als Inhalt und Besessenheit. Wo ich zuzeiten Mühe habe, mich länger als einige Minuten auf ein einfaches Thema zu konzentrieren, lege ich die Zielstrebigkeit einer Kreissäge auf Kokain an den Tag, wenn es darum geht, die Zusammenhänge im Menschlichen Körper, seine Funktionen und die Möglichkeiten, diese zu verbessern, zu verstehen.


Triathlon. Das ist mein Ding, das ist mein Leben. Egal, wie ich es drehe und wende. Auch nach bald 25 Jahren ist die Faszination, die von diesem Sport ausgeht, ungebrochen. Schwimmen, Rad fahren, laufen. Den Elementen ausgesetzt, in Wind und Wetter, mit mir und gegen mich selbst. Gegenwart spüren, in ihrer reinsten Form - das sind sind für mich Ziel und Sucht gleichermassen.


Am Anfang war ich immer der Jüngste: in meinem Verein, am Ironman Switzerland, an der Startlinie als Profi. Dann als Coach und Trainer.


All diese Sonderstatus (ich habe sowohl den Deutschen Duden als auch drei Websites konsultiert: das ist der korrekte Plural) haben jedoch eines gemeinsam: sie sind - waren - an einen Zustand geknüpft, der schlicht und einfach nicht haltbar war. Es war eine Maxime, die rein durch die Essenz des Seins mit Vergänglichkeit belegt war. Die Zeit bleibt für keinen stehen und jenes Pendel beginnt unterdessen in eine andere Richtung auszuschlagen.


Nun habe ich für mich persönlich den Wunsch geäussert, noch einmal im Leben als Profiathlet an der Startlinie zu stehen. Klar - ich könnte mir das einfach erkaufen. Das wäre leicht, nicht mal sonderlich teuer. Da ich in den letzten 24 Jahren aber nicht nur älter geworden bin, sondern auch die eine oder andere Meinung ausgebildet und gefestigt habe, ist das eine Option, die für mich schlicht nicht existiert. Ich will es mir verdienen. Konkret heisst das für mich, dass ich an einem Ironman eine Zeit von mindestens 8:30 Stunden laufen will - oder schneller. Es sei erklärend angemerkt, dass ich nach wie vor Österreicher bin und in diesem Land wurden die Limiten für den Pro-Status vor einiger Zeit wieder abgeschafft. Schade, aber damit einfach etwas, das ich mir selbst auferlegen werde.


Zeit, der Realität ins Gesicht zu sehen.


Kann ich das überhaupt?


Ja, absolut, da bin ich überzeugt!


Kann ich es JETZT?


Nein, auf keinen Fall, auch das steht fest.


2022 war ich sehr nahe dran, endlich, endlich die für mich magische Barriere von 8 Stunden zu durchbrechen. 6 Minuten fehlten mir am Ironman in Italien. Und ja: die wurmen mich noch heute.


Doch dann geschah das Leben und ich wurde einmal mehr mit einer Tatsache konfrontiert, die mir persönlich nicht angenehm ist: Ich bin ein sensibler Mensch. Egal, wie sehr ich mich wappne, wie sehr ich versuche, mich mental zu stärken, wie oft ich eine Therapiesitzung vereinbare: mein Fell ist alles andere als dick. Stress macht mich krank, emotionale Belastungen ebenso. Ich bin ein Harmonie-Junkie, wünsche mir, dass um mich herum alle Menschen so glücklich sind, dass selbst einem RTL II-Moderator vor Rührung schlecht würde und dass uns allen Regenbogen aus dem Hintern scheinen.


Ich bin kein netter Mensch. Oh, ich bin nett und lieb zu anderen, aber nicht, weil das meinem Wesen entspricht, sondern weil ich zutiefst überzeugt bin davon, dass es das Richtige ist. Wie man in den Wald ruft und so. Doch das ist aus meiner Sicht etwas grundlegend anderes.

Ab und an höre ich Dinge wie: "Du bist einfach zu gut für diese Welt". Lasst mich in den nächsten 2 Sätzen zum einen klarstellen, dass das definitiv nicht der Fall ist und auch, wieso dem nicht so ist. Erstens: Leute. Ich habe versucht, diese Welt zu verlassen und das hat nicht geklappt. Zweitens: Fickt euch ins Knie.


Wer ich bin und wie ich durchs Leben gehe ist die Summe der letzten 39 Jahre und meiner Überzeugungen. Ich werde nicht anfangen, unfreundlich zu sein, egoistischer als nötig, rücksichtslos... all jene Charakteristika, die man gerne "erfolgreichen" Menschen andichtet.


Was hat das mit dem Sport zu tun?


Einfach alles. Genau so, wie ich versuche, durch meinen Alltag zu gehen, will ich auch als Sportler sein. Ich habe Ambitionen, doch um es mit den Worten von Meat Loaf zu sagen: I would do anything (for love) - but I won't do that.


Ab und zu zweifle ich. Nicht zuletzt dann, wenn mich jemand aus meinem Umfeld fragt: bist du sicher, dass es das Richtige ist? Dass du nochmal als Profi starten willst? Denkst du nicht, dass deine Zeit vielleicht vorbei ist?


Denn: das sind alles valide Punkte. Es ist möglich, dass meine Zeit als Profisportler vorbei ist. Es ist möglich, dass mich der Versuch, diesen Status nochmal zu erreichen, mental mehr belastet als er es körperlich jemals würde - und dass dieser Umstand, gepaart mit der Tatsache, dass meine persönliche, innere Uhr hier beständig tickt, massgeblich dazu beiträgt, dass ich in den letzten 5 Monaten ebenso oft krank wurde. Soll es einfach nicht sein?


Letztes Jahr markierte mein 20-jähriges Ironman-Jubiläum und am Morgen des 24. Juli 2024 fand ich mich in einem Bob Seeger-Song:


"I was 18, didn't have a care

Working for peanuts, not a dime to spare

But I was lean and solid everywhere

Like a rock...


(...)


...And I stood arrow straight

Unencumbered by the weight

Of all these hustlers and their schemes

I stood proud, I stood tall

High above it all

I still believed in my dreams...


(...)


20 years now, where'd they go?

20 years, I don't know

I sit and I wonder sometimes

Where they've gone


And sometimes late at night

Oh, when I'm bathed in the firelight

The moon comes callin' a ghostly white

And I recall, I recall


Like a rock, standin' arrow straight

Like a rock, chargin' from the gate

Like a rock, carryin' the weight

Like a rock..."


Wenn ihr das Lied nicht kennt: nehmt euch ein paar Minute und hört es euch an. Es lohnt sich. Nicht zuletzt, weil es sich grundlegend von dem unterscheidet, was heutzutage als "Musik" verbrochen wird. Gönnt euch eine Pause.

Es berührt mich noch immer, wenn ich den Song höre. Er erlaubt es mir, die Zeit damals wieder in Erinnerung zu rufen, denn: er begleitete mich bereits an meinen ersten Ironman. Gezeigt hat ihn mir mein lieber Freund Emanuel, an einem warmen Sommerabend, den wir vermutlich im Juni 2004 im Garten seines Zuhauses verbrachten. Unser Ding war damals: Tee trinken und Musik hören, allerdings nicht als Hintergrund, sondern als Inhalt.


"Das sind doch wir gerade, oder? Sommer, die Hitze, jung und voller dummer Ideen?"


Am Ende der US-Version der Serie "The Office" fällt der Satz: "Ich wünschte mir, dass es einen Weg gäbe zu wissen, dass man sich in der guten, alten Zeit befindet, bevor man sie wieder verlässt".


Wenn ich es recht bedenke, wussten wir es damals.


Was ich heute weiss: die Zeit verschont keinen. Das Leben verschont keinen. In den letzten 24 Jahren durfte ich viele, viele wunderbare Menschen kennenlernen und als Coach auf ihrem Weg begleiten. Das war und ist eine einzige Langzeitstudie dieses Statements. Alle haben ihren Rucksack. Alle haben zu tragen. Alle wünschen sich bessere Zeiten.


Manchmal zweifle ich.


Wenn ich ehrlich mit mir bin, zweifle ich vor allem aus Angst. Nicht davor, es nicht zu schaffen, sondern tatsächlich wohl aus dem exakten Gegenteil. Was, wenn ich es schaffe? Was, wenn ich mir diesen Traum erfülle? Was, wenn das nicht dazu führt, dass die gute, alte Zeit wieder auflebt?


Ich weiss unterdessen, dass das nicht passieren wird. Auch, dass das gar nicht nötig ist. Denn was war, das war. Und zu viel Zeit damit zu verbringen, sich das alles wieder herbeizuwünschen, führt letzten Endes nur dazu, sich selbst der erneuten Gelegenheit zu berauben, die in weiteren 20 Jahren als "gute, alte Zeit" angesehenen Jahre tatsächlich zu erleben.


Das will ich nicht. Zeit, etwas zu ändern.


Ich werde nicht jünger und was da an neuen, eben jungen Athletinnen und Athleten kommt, raubt mir den Atem. Im positiven Sinn: der Sport wird beflügelt von so vielen, tollen Menschen, die ein dermassen grosses Potenzial haben, dass ich mich schon fast nicht traue, mich dazu zu zählen. (Ich weiss: ein weiteres Problem, an dem ich arbeiten sollte).


Da kann ich nicht mithalten. Zumindest jetzt nicht. Wenn ich es dennoch will, ist eines klar: Ich muss es schlauer, smarter, cleverer anstellen als jemals zuvor und als alle anderen.


Das ist Pech, denn ich bin ein ziemlicher Hornochse.


Am Ende könnte es genau diese Mischung sein, die mir zu Hilfe kommt. Wenn's klappt - toll. Und an das "wenn nicht" will ich nicht denken, denn im Moment heisst es schlicht: aufgestanden wird einfach immer einmal mehr. Ganz ohne Motivationsapp, Instagram, sinnliche Sprüche oder wasweissich. Hier erlaube ich mir ein weiteres Zitat aus der Popkultur: "Ich bin zu alt für den Scheiss". Und das ist gut so.


Herzlich,

Fabian

 
 
 

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