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Vertrauen

Autorenbild: Fabian KremserFabian Kremser

Gibt es etwas wichtigeres als das Vertrauen? An sich egal in wen oder was. Können wir vertrauen, können wir uns entwickeln und wachsen. Oder?

Eines meiner absoluten Lieblingsbücher ist der Historienroman "Die Entdeckung der Langsamkeit" von Sten Nadolny. Wer mich kennt und das Buch liest, wird unweigerlich das eine oder andere über mich erfahren. Ich kann mit gutem Gewissen sagen: das war ein Buch, das mich geprägt hat. Und es immer noch tut. Seit ich es im heimischen Bücherschrank fand - der Druck des Gemäldes einer Kriegsfregatte, die von einem Dampfschlepper gezogen wird, sprach mich als begeisterter Fan von Segelschiffen aller Art sofort an - habe ich es jedes Jahr mindestens einmal gelesen. Das Buch wird unterdessen von einem Gummiband zusammengehalten und ist weit gereist. Noch immer finde ich darin Sätze und Passagen, die mich auf eine Art begeistern und berühren, die ich weder beschreiben kann noch unbedingt will. Lest es und macht euch selbst ein Bild davon.


Das Buch dreht sich um Sir John Franklin, der tatsächlich gelebt hat. In seiner Jugend war er als Midshipman in der Schlacht von Kopenhagen, segelte dann mit dem Kapitän Matthew Flinders, der sein Onkel war, um Australien und diente anschliessend auf der HMS Bellerophon, an Bord welcher er an der Schlacht vor Trafalgar teilnahm. Auch in der Schlacht von New Orleans war er beteiligt.

Nach dem Ende seiner Kriegslaufbahn leitete er erst zwei Expeditionen in den Polarkreis auf der Suche nach der Nordwestpassage, später verwaltete er während sieben Jahren als Gouverneur Tasmanien, welches damals noch eine Englische Strafkolonie war und den Namen Van Diemen's Land trug. Nach seiner Abberufung, die wohl vor allem durch sein progressives Denken und Handeln provoziert wurde, erhielt er abermals das Kommando für eine Polarexpedition, die seine Letzte werden sollte: Sir John Franklin verscholl 1845 mit den beiden Schiffen HMS Erebus und HMS Terror im Polarmeer.


Heute weiss man, dass das Schicksal der Mannschaften beider Schiffe alles andere als gnädig verlief. Kälte, Packeis, sterbende Männer - unter ihnen der Kommandeur Franklin - Skorbut, ein letzter Todesmarsch über das Eis, während dem die letzten Verbliebenen in ihrer Verzweiflung sogar versuchten, das Fleisch ihrer Toten zu essen, bevor auch sie starben... Franklins Leben war auch in der realen Welt eine Geschichte voller Tragik, jedoch auch von viel Hoffnung. Und Vertrauen.


Sten Nadolny beschreibt Franklin in seinem Roman als einen Menschen, der in einer immer schneller werdenden Zeit ein Kuriosum ist: John Franklin ist langsam. Er ist nicht etwa dumm, nein - doch er ist langsam, bewegt sich langsam, spricht langsam und fällt damit in einer Zeit, in der der Fortschritt sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sich alles mit immer grösser werdender Geschwindigkeit bewegt, natürlich auf. Dennoch gelingt es ihm, nicht nur eine Karriere in der Seefahrt zu meistern, sondern auch das Ziel seiner Träume zu erreichen: das Polarmeer, das ewige Eis, die Nordwestpassage. Gemäss tatsächlich gefundener Aufzeichnungen gilt unterdessen als belegt, dass Franklin diese tatsächlich auf seiner letzten Expedition gefunden hatte, sie jedoch aufgrund des zu diesem Zeitpunkt noch ewig zugefrorenen Meeres nicht passierbar war.


Es war und ist dieser John Franklin, der sich, beständig in seiner eigenen Zeitzone lebend, seinen Weg durch eine ihm fremde und unerklärliche Welt bewegt, der mich von den ersten Sätzen des Buches an zutiefst berührte. Wieder und wieder fand ich mich selbst zwischen diesen Seiten. Ich sass mit Franklin im Ausguck der HMS Investigator, neben ihm in der Kutsche, reiste mit ihm ins ewige Eis. Und ich lernte von ihm sein "System", mit dem er seine Verhandlungen führte, seine Expeditionen leitete und mit dem er sich seinen Weg bahnte.


In diesem System ging Franklin so vor, dass er grundsätzlich allen Menschen vertraute, an das Gute in ihnen glaubte und sich auf sie verliess. Bis er von etwas Gegenteiligem überzeugt wurde.


Das inspiriert mich noch heute und ich versuche, danach zu handeln, wo es nur geht. In der Vergangenheit führe dies mehr als einmal dazu, dass ich mich mit teils herben Enttäuschungen konfrontiert sah. Auch bin ich sicher, dass mir das in Zukunft wieder passieren wird. Doch wenn ich in den letzten Jahren eines gelernt habe, schlechte Erfahrungen, Energien, Depressionen und allem zum Trotz, ist es Folgendes: ich weigere mich, von Vorne herein misstrauisch zu sein und das Schlechte in Menschen zu sehen, nur, weil mich in der Vergangenheit nicht immer alle ehrlich und mit dem gleichen Respekt behandelten als ich sie. Ich will nicht zu einem Menschen werden, der sich damit brüsten muss, dass er niemandem vertraut. Wir leben nicht mehr zu Zeiten des Goldrausches, wo das angebracht gewesen sein mag wenn es darum ging, den eigenen Claim zu schützen. Ich werde auch weiterhin nach dem Prinzip durchs Leben gehen, dass die Menschen grundsätzlich gut und ihre Absichten ebenso sind. Und das lasse ich mir nicht nehmen.


Herzlich,

Fabian


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